Deutschland zahlt den Preis für den von den Amerikanern gegen Russland geführten Krieg“
11. Februar 2023
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Jacques Baud über die nach seiner Sicht von Medien und Politikern verzerrte militärische Lage in der Ukraine und warum diese missbraucht wurde, um zu versuchen, Russland zu vernichten.
Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit am Hochschulinstitut für internationale Beziehungen in Genf absolviert. Er war Oberst der Schweizer Armee, arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war Berater für die Sicherheit der Flüchtlingslager in Ost-Zaire während des Ruanda-Krieges, arbeitete u.a. für die Nato in der Ukraine und ist Autor mehrerer Bücher über Nachrichtendienste, asymmetrische Kriegsführung, Terrorismus und Desinformation. Das von Thomas Kaiser geführte Interview erschien im Schweizerischen Online-Magazin Zeitgeschehen im Fokus (Nr. 2 vom 10. Februar). Wir danken, das Interview übernehmen zu dürfen.
Bauds Analysen und Einschätzungen zum Ukraine-Krieg und seine Ursachen setzen sich von der Regierungspolitik der westlichen Staaten und der in den meisten westlichen Medien vertretenen Positionen ab. Dort gilt er deswegen als Verschwörungstheoretiker und Vertreter von prorussischer Propaganda. Wir finden, dass er als Ex-Militär, Ex-Geheimdienstler und Ex-Nato-Mitarbeiter interessante und begründete Einsichten und Analysen bietet, auch und gerade wenn man anderer Meinung ist.
Thomas Kaiser: In den Mainstream-Medien wird momentan das Bild vermittelt, dass Russland durch den Widerstand der Ukrainer militärisch nicht weiterkommt. Können Sie diese Aussage bestätigen?
Jacques Baud: Nein. Das war seit Beginn des Konflikts nie der Fall und ist es auch heute noch nicht. Die Russen und ihre Verbündeten in den Donbas-Republiken sind sicherlich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vorgerückt, je nachdem, wie gut die ukrainische Verteidigung war, aber sie sind immer vorgerückt. Ich erinnere daran, dass die einzigen Vorstöße der ukrainischen Armee (in Charkow und Cherson) möglich waren, weil die Russen zuvor entschieden hatten, dass diese Gebiete das Risiko einer Verteidigung nicht wert waren. Die Ukrainer konnten dann nach dem Abzug der russischen Truppen vorrücken. Die Rückeroberung dieser Gebiete erfolgte daher ohne Schlacht. Allerdings wurden die ukrainischen Truppen von der russischen Artillerie empfangen und erlitten sehr hohe Verluste, während die Russen praktisch keine Verluste erlitten. In Cherson machten die ukrainischen Truppen die gleiche Erfahrung wie die russischen und räumten die Stadt, kurz nachdem sie sie „zurückerobert“ hatten!
Seit Februar 2022 versuchen unsere Medien (insbesondere: RTS oder NZZ in der Schweiz, LCI, France 5 oder BFM TV in Frankreich), uns glauben zu machen, dass die Ukraine siegt, dass die russischen Truppen unfähig sind, schlecht geführt werden und schwere Verluste erleiden. Heute können wir feststellen, dass dies alles völlig falsch war.
Der größte Fehler, den man in einem Krieg machen kann, ist, den Gegner zu unterschätzen und die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Unsere Medien haben uns dazu verleitet.
Unsere Medien – und sogar unser Militär! – verstehen unter Krieg große Pfeile auf einer Landkarte und territoriale Eroberungen. Das war die Logik der Westmächte im Irak oder in der Sahelzone, aber es ist nicht die Logik der Russen in der Ukraine. Wie Winston Churchill sagte: „Egal wie beschäftigt ein Kommandant mit der Ausarbeitung seiner eigenen Überlegungen ist, manchmal ist es notwendig, den Feind zu berücksichtigen.“ Seit dem 24. Februar 2022 haben unsere Medien und Politiker die Realität am Boden durch ein Propaganda-Narrativ ersetzt, das nicht darauf abzielt, die Situation zu verstehen, sondern die Stimmung gegen Russland zu mobilisieren.
In der Ukraine haben die Russen immer gesagt, dass es ihr Ziel sei, die Bedrohung für die Bevölkerung des Donbas durch „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ zu neutralisieren. Beide Ziele beabsichtigten, eine Lösung für die Sicherheit der russischsprachigen Bevölkerung im Donbas zu erreichen.
Russlands Ziel war es also – durch eine politische Einigung oder durch Zerstörung – , ein Potenzial zu neutralisieren, und nicht, Gebiete zu übernehmen. Diese Lösung hätte aus dem Minsker Abkommen kommen sollen, doch die Westmächte haben sich ausdrücklich geweigert, das von ihnen unterzeichnete Abkommen umzusetzen. Daher beschloss Russland, diese Lösung durch eine militärische Intervention zu erzwingen.
Davon abgesehen hat Russland immer gesagt, dass es eine Verhandlungslösung bevorzugt. Aus diesem Grund hat es alle Verhandlungsvorschläge akzeptiert, die Selenskij im Februar 2022, März 2022 und August 2022 vorschlug. Diese Bemühungen wurden von der Europäischen Union und Großbritannien systematisch verhindert, da sie – im Gegenteil – den Konflikt mit Waffen anheizten. Die Russen haben also begriffen, dass der einzige Weg aus dem Konflikt darin besteht, die militärischen Kapazitäten der Ukraine systematisch und methodisch zu zerstören.
Das Ziel der „Entnazifizierung“ richtete sich nicht gegen die ukrainische Regierung, wie unsere Propaganda behauptet, sondern explizit gegen die ultra-nationalistischen und neonazistischen paramilitärischen Milizen, deren Bedrohung sehr real ist, deren Existenz aber von westlichen Sympathisanten geleugnet wird. Nach Angaben des russischen Militärs selbst wurde dieses Ziel Ende März mit der Einnahme von Mariupol, der Heimat des Asow-Regiments, dessen Verbrechen von unseren Medien akzeptiert und sorgfältig vertuscht wurden, erreicht. Die Neutralisierung der militärischen Bedrohung (Entmilitarisierung) hätte bereits am 25. Februar 2022 erreicht werden können, indem die von Wolodymyr Selenskij vorgeschlagenen, aber von der Europäischen Union verhinderten Verhandlungen, fortgesetzt worden wären.
Da die Option der Verhandlungen vom Westen abgelehnt wurde, bleibt den Russen nur die endgültige Vernichtung der ukrainischen Streitkräfte. Dies geschieht nun logischerweise, und die Russen haben es wahrscheinlich nicht mehr sehr eilig mit der Aufnahme von Verhandlungen.
Die Westmächte haben nie Frieden schließen wollen, und es gibt Kräfte in der ukrainischen Regierung, die Selenskij dazu drängen, ihre Politik zu machen. Heute haben wir sogar die Bestätigung von Generalmajor Kirill Budanow, dem Leiter des ukrainischen Militärnachrichtendienstes (GUR), dass Denys Kireyev, einer der ukrainischen Verhandlungsführer (und Mitglied des GUR), Ende Februar sowie einige andere Persönlichkeiten, die Verhandlungen befürworteten, vom ukrainischen Staatssicherheitsdienst (SBU) eliminiert wurden. Ich hatte dies bereits in meinem Buch „Operation Z“ geschrieben, doch dieses Mal wird es vom Direktor der GUR selber bestätigt. Wieder einmal haben die Journalisten des „Blick“ oder des Westschweizer Fernsehens (die mich immerhin als „Putin-AgentM bezeichnet haben) gelogen.
Die Lieferung von schwerem militärischem Gerät, was Selenskij schon lange fordert, soll die Ukraine in die Lage versetzen, die von den Russen kontrollierten Gebiete wieder zurückzuerobern. Ist das Wunschdenken?
Jacques Baud: Ja. Zunächst einmal ist das Beharren des Westens auf der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ein Eingeständnis, dass die Situation nicht zu seinem Vorteil ist. Und das geschah nicht an einem Tag. Die Hauptkapazitäten der ukrainischen Armee wurden im Sommer 2022 zerstört. Deshalb fordert Selenskij seit dieser Zeit Waffen. Mit anderen Worten: Unsere Medien, Diplomaten und Politiker haben systematisch über die Lage und die Fähigkeiten der Ukraine gelogen.
In den USA geben heute sogar General Mark Milley, der Vorsitzende des Joint Chiefs of Staff, und Außenminister Anthony Blinken zu, dass eine Rückeroberung der von Russland eingenommenen Gebiete unrealistisch ist. In einer vertraulichen Anhörung teilte das Pentagon dem Streitkräfteausschuss des US-Repräsentantenhauses mit, dass die Ukraine nicht über die Kapazitäten verfüge, um die Krim zurückzuerobern.
Erstens muss man auf gesellschaftlicher Ebene daran erinnern, dass sich die Menschen in diesen Regionen (Krim, Donbas und Südukraine) nicht als Ukrainer fühlen, weil die Ukrainer in Kiew sie nie als Ukrainer betrachtet haben. Unsere Sicht ist verzerrt, weil unsere Medien Gesetze wie das, das den Bürgern der Ukraine je nach ihrer ethnischen Herkunft unterschiedliche Rechte einräumt, unterstützt haben. Wir weigern uns zu verstehen, dass das 2014 in Kiew errichtete Regime in diesen Regionen nie legitim war.
Man darf nicht vergessen, dass die Krim-Bevölkerung im Januar 1991 in einem Referendum erreicht hatte, dass sie von Moskau und nicht mehr von Kiew verwaltet werden sollte. Als die Ukraine unabhängig wurde, war die Krim also Moskau untergeordnet, ohne Teil Russlands zu sein. Es war die Ukraine, die 1995 beschloss, die Krim zu annektieren, indem sie ihre Verfassung gewaltsam abschaffte und ihren Präsidenten stürzte. Im Jahr 2014 nutzten die Krimbewohner einfach die Illegitimität der neuen Regierung in Kiew und die Abschaffung des Gesetzes über die Amtssprachen, um erneut den Anschluss an Moskau zu fordern. Es ist daher vorstellbar, dass die Ukraine, wenn sie die russischen Gebiete zurückerobern würde, auf sehr starken Widerstand in der Bevölkerung stoßen würde, so als ob die Russen versuchen würden, den westlichen Teil der Ukraine einzunehmen.
Zweitens: Militärisch gesehen bestätigte sogar der Chef der ukrainischen Streitkräfte, General Saluschnij, in einem Interview mit dem „Economist“ am 15. Dezember 2022, dass die Ukraine nicht in der Lage sei, diese Gebiete zurückzuerobern, wenn sie nicht „300 Kampfpanzer, 600 bis 700 Schützenpanzer, 500 Artilleriegeschütze“ erhalte.
Das Problem ist, dass die ukrainische Armee nicht auf einen Bewegungskrieg gegen einen mechanisierten Gegner vorbereitet wurde. Sie wurde seit 2014 von der Nato modernisiert und ausgebildet, litt aber unter der mangelnden Erfahrung des Westens in diesem Bereich, der nur mit technologisch unterlegenen Armeen und mit Situationen der Aufstandsbekämpfung konfrontiert war.
Aus diesem Grund gab es seit Beginn der russischen Offensive im Februar 2022 keine grossen Panzerschlachten wie in Kursk im Jahr 1943. Die Ukrainer führen einen Infanteriekrieg in Schützengräben oder in überbauten Gebieten. Dies war in Mariupol, Sjewjerodonezk oder Bachmut zu sehen. Ich schließe daraus, dass die Bereitstellung von Panzern, umso mehr von westlichen Panzern, mit denen die Ukrainer nicht völlig vertraut sind, die Situation nicht grundlegend verändern wird.
Ich denke, dass die Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt selbst mit erneuerter Ausrüstung nicht mehr in der Lage ist, die von den Russen eingenommenen Gebiete zurückzuerobern. Ich möchte außerdem daran erinnern, dass es dem Westen um das Territorium geht, den Russen jedoch um das Potenzial. Wie ich bereits sagte, kann man zwar im besten Fall Gebiete zurückerobern, aber man erhält nie die verlorenen Menschenleben zurück. Gegenwärtig drängt der Westen die Ukrainer, das ihnen verbliebene Humankapital aufs Spiel zu setzen. Unsere Intellektuellen sehen darin ein großes Romanepos (es ist leicht, mit dem Leben anderer Menschen Krieg zu führen), aber man muss bedenken, dass die Ukraine sich wieder aufbauen muss.
Nun hat die Ukraine seit 1990 bereits einen Grossteil ihrer Bevölkerung verloren, und es ist unwahrscheinlich, dass diese Bevölkerung in ein korruptes und zerstörtes Land zurückkehrt. Zu diesem demografischen Defizit wird der Verlust der treibenden Kräfte des Landes, die wir heute sehen, hinzukommen.
Welchen Effekt werden die neu gelieferten Panzer auf den Kriegsverlauf haben?
Jacques Baud: Zunächst einmal gibt es einen politischen Effekt – im Westen. Als Selenskij nach Washington reiste, bat er um Abrams M1-Kampfpanzer. Die Amerikaner lehnten ab, forderten Deutschland aber auf, Leopard-2-Panzer zu liefern. Olaf Scholz antwortete ziemlich logisch, dass Deutschland nur dann Panzer liefern würde, wenn die Amerikaner zuerst zustimmen würden. Zunächst schlug ein amerikanischer Politiker vor, dass die USA nur einen einzigen M1-Panzer liefern sollten, um die deutsche Entscheidung zu provozieren! Die Amerikaner haben sehr gut verstanden, dass das politische Verhalten Deutschlands unterwürfig und korrupt ist .
Die Fortsetzung wurde von der Washington Post enthüllt und von der europäischen Presse so gut wie gar nicht aufgegriffen. Und das aus gutem Grund! So genehmigte Joe Biden die Lieferung von 31 M1-Panzern. Wie erwartet genehmigte Scholz daraufhin den Reexport von Leopard-2 durch die europäischen Länder und gestattete die Lieferung einer bestimmten Anzahl dieser Panzer. Zu diesem Zeitpunkt erklärten die USA, dass die M1 zu viel Technologie enthielten, die nicht in die Hände der Russen fallen dürfe, und dass die Panzer nicht sofort geliefert werden könnten. Tatsächlich werden es neue Panzer sein, die speziell für die Ukraine gebaut werden, mit einem geringeren Schutz (da die Zusammensetzung der Panzerung der US-Version als geheim eingestuft ist), die erst in einem Jahr geliefert werden können.
Mit anderen Worten: Die USA haben Scholz „über den Tisch gezogen“!!! Dies zeigt, wie es um die Beziehungen zwischen den Nato-Mitgliedern tatsächlich steht. Man weiß schon, dass es ein Nato-Mitglied war, das die Nord-Stream-Gaspipelines zerstört hat. Es ist also Deutschland, das den Preis für den von den Amerikanern gegen Russland geführten Krieg zahlt. Die Amerikaner haben Recht: Wenn man einen „Dummen“ gefunden hat, kann man ihn auch gleich ausbeuten, vor allem, wenn das deutsche Volk das ohne Diskussionen akzeptiert. Jedes Land ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. Das gilt für die Ukrainer genauso wie für die Deutschen.
Auf einer militärischen Ebene sollte daran erinnert werden, dass die Ukrainer im Februar 2022 knapp 1000 Kampfpanzer hatten. Zu dieser Zahl kommen laut dem Westen und unseren Medien im Jahr 2022 noch mehr als 500 erbeutete russische Kampfpanzer und etwa 600 vom Westen erhaltene Panzer hinzu. Darüber hinaus ist festzustellen, dass nur die Russen Panzer verlieren. Wir sollten also eine klare Überlegenheit der Ukraine haben. Doch heute bräuchte die Ukraine, wenn man General Saluschnij glauben darf, 300 Panzer, um durchzuhalten, und der Westen wird bis zum Sommer 2023 nur einen kleinen Teil dieser Zahl liefern können.
Ich bin selber Kommandant eines Leopard-2-Bataillons gewesen. Es ist eine formidable und hervorragende Waffe. In der Schweiz können wir Panzerbesatzungen in weniger als vier Monaten ausbilden, also ist es durchaus möglich, dass die Ukrainer dasselbe tun. Das Problem ist nicht wirklich die technische Ausbildung der Panzerbesatzungen. Der schwierigste Teil ist die Fähigkeit, den Panzer in das Gefechtssystem zu integrieren und mit operativer Kohärenz zu operieren.
Die Panzertechnik hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren nicht wirklich entwickelt. Die Bewaffnung, die Mobilität und der Schutz haben sich verbessert, aber nicht grundlegend verändert. Was sich weiterentwickelt hat, ist die Technologie, die es ermöglicht, Panzer in ein Waffenverbundsystem zu integrieren (battlefield management system oder BMS). Dies gibt der gepanzerten Waffe ihre tatsächliche Wirksamkeit. Betrachtet man die verschiedenen Generationen des Leopard-2-Panzers, so stellt man eine radikale Veränderung zwischen den Versionen A4-A5 der 1980er und 1990er Jahre und den Versionen A6-A7 der Jahre 2005 bis 2020 fest.
Bei den Fahrzeugen, die der Ukraine versprochen werden, handelt es sich jedoch hauptsächlich um Leopard-2A4 und sogar Leopard-1, die nur eine alte Technologie (ohne BMS) aufweisen und deren Munition offenbar gegen die russischen T-90 nicht wirksam ist. Es fällt auf, dass der Westen seine modernste Ausrüstung nicht hergeben will, weil er den Ukrainern nicht vertraut und befürchtet, dass die Russen westliche Hochtechnologie wie die Chobham-Panzerung der britischen Challenger-Panzer in die Hände bekommen könnten.
Bei den Leopard-Panzern ist es noch dramatischer, denn die Deutschen haben festgestellt, dass die Vorbereitung der Panzer für die Ukraine länger dauern wird als erwartet (vielleicht ist dies eine Antwort auf die amerikanische Täuschung?), sie werden nur Leopard-1-Panzer aus den 1960er und 1980er Jahren mit einer 105-mm-Kanone liefern – für die es an Munition mangelt!
Die Russen haben ihre Waffensysteme vollständig in den sogenannten „Aufklärungs-Schlag-Komplex“ (Razvedivatel’no Udarnyy Kompleks oder RUK) integriert, bei dem es sich um ein Managementsystem handelt, das ihre Waffensysteme zu einem einzigen Kampfsystem zusammenfasst. Dadurch sind sie in der Lage, mit erheblich schwächeren Kräften als die Ukrainer effektiv zu kämpfen.
Nach der Vernichtung des größten Teils ihres Potenzials im Jahr 2022 ist die ukrainische Armee heute eine bunte Ansammlung von Material unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Logistikketten. Das Problem der Ukrainer ist nicht wirklich der Mangel an Waffen, sondern die Fähigkeit, diese in eine optimale und effiziente Führungsstruktur zu integrieren. Ein Beispiel dafür ist die Haubitze M777, die vom Westen als „Wunderwaffe“ gesehen wurde, aber ihr volles Potenzial nicht ausnutzen konnte, da sie nur als „normale“ Haubitze eingesetzt wird.
Das ist auch das Problem der Raketenabwehrkapazitäten. Seit dem 2. März berichten unsere Medien, dass die Russen ihre Raketenreserven erschöpft haben. Wir hielten es daher nicht für sinnvoll, den Ukrainern Raketenabwehrsysteme zu geben. Ab Oktober 2022, nach dem Bombenanschlag auf die Kertsch-Brücke, begannen die Russen, die elektrische Infrastruktur zu zerstören (wie es die Nato in Serbien, die Amerikaner im Irak, in Syrien und in Libyen getan hatten). Der Westen schickte daher dringend Luftabwehrraketen. Aber diese Waffensysteme, die aus mehreren Ländern stammen, sind nicht wirklich interoperabel und befinden sich nicht in einem integrierten Kampfführungssystem. Das Ergebnis: Bei jedem Angriff werden mehrere Raketen auf ein einziges Ziel abgefeuert. Die Russen haben das Problem sehr gut verstanden und schicken mit ihren Raketen „Lockvögel“ ins Rennen. Dadurch feuern die Ukrainer bei jedem russischen Angriff viel mehr Raketen ab als nötig, und ihr Potenzial nimmt rapide ab.
Letztendlich konnte das westliche Material nicht mit der russischen Fähigkeit, sie zu zerstören, mithalten. Am 24. Januar kündigte Estland an, dass es alle seine 155-mm-Haubitzen – das heißt 24 FH-70 – an die Ukraine verschenken würde. Eine Woche später, am 31. Januar, bot Frankreich 12 CAESAR-Haubitzen an, zusätzlich zu den 18, die es bereits an die Ukraine geliefert hatte. Laut der Website Moonofalabama, die die Ankündigungen des russischen Generalstabs zusammenzählte, soll die russische Armee in derselben Woche 40 gezogene Haubitzen, 32 selbstfahrende Haubitzen und 8 Mehrfachraketenwerfer zerstört haben. Diese Zahlen sind schwer zu bestätigen, zeigen aber, dass die westlichen Waffenlieferungen kaum ausreichen, um die ukrainischen Verluste auszugleichen.
Welche Folgen wird das auf die Zahl der Toten und Verwundeten haben?
Jacques Baud: Wir haben die Russen in die Lage gebracht, das gesamte ukrainische Potenzial systematisch zerschlagen zu müssen. Die Hauptverantwortlichen dafür sind diejenigen, die uns verweigert haben, das Massaker an Zivilisten im Donbas zwischen 2014 und 2022 zu verurteilen, die uns über das Minsker Abkommen desinformiert haben, damit es nicht umgesetzt wird, und die, die die wahren Gründe für die russische Intervention verschwiegen haben: Es sind unsere Medien, die dogmatisch und ideologisch sind und vom Blut anderer leben.
Von Beginn ihrer Operation an war es sehr klar, dass die Russen die Verluste auf beiden Seiten minimieren wollten. Dies hatte das Pentagon zu Beginn des Konflikts festgestellt, wie das US-Magazin Newsweek berichtete. Dies wurde am 23. Januar dieses Jahres auf der ukrainischen Website Mriya von Oleksej Arestowitsch (bis vor kurzem militärischer Berater des Peäsidialamts – Die Red.) bestätigt: Die Russen „versuchten, einen intelligenten Krieg zu führen“, indem sie versuchten, die Verluste so gering wie möglich zu halten. Bei „den wenigen, die Widerstand leisteten […], eliminierten sie sie nicht einmal, sondern boten an, sich zu ergeben, die Seiten zu wechseln, zu verstehen etc. Sie wollten niemanden töten.“
Heute haben die Russen verstanden, dass die Westmächte, auch wenn es einen Verhandlungsprozess gäbe, diesen nutzen würden, um den Konflikt einzufrieren und ihn später wieder aufzunehmen, wie sie es mit dem Minsker Abkommen getan haben. Die Russen wissen, dass das Wort des Westens keinen Wert hat. 1990 hatte April Glaspie, die amerikanische Botschafterin im Irak, Saddam Hussein gesagt, dass die Amerikaner keine Einwände gegen eine Invasion in Kuwait erheben würden. Sie hatte gelogen. 2015 unterzeichneten die USA, Russland, China, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Deutschland, die Europäische Union (EU) und der Iran das Wiener Abkommen (besser bekannt unter seiner angelsächsischen Abkürzung: JCPOA). Der Iran, Russland und China hielten sich an das Abkommen, der Westen nicht. Im Jahr 2020 hatten sich die Amerikaner und die Taliban auf ein Datum für den Abzug der USA geeinigt. Die Amerikaner hielten sich nicht an ihr Wort und verschoben das Datum einseitig um mehr als vier Monate. Und im November 2022 bestätigten Angela Merkel und François Hollande gegenüber Russland, dass Deutschland und Frankreich Länder sind, deren Wort wertlos ist …
Bevor man an den Verhandlungstisch geht, muss also erst einmal wieder Vertrauen aufgebaut werden. Waffenlieferungen tragen dazu nicht bei. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Westen die gleiche Position vertritt wie der Schweizer Botschafter in Kiew, der Verhandlungen als „Prämie für den Aggressor“ sieht! Zum Glück denken die Taliban, die Syrer, die Ägypter, die Iraker, die Libanesen, die Libyer und viele andere nicht so, denn dann könnte man die Vereinten Nationen schlichtweg abschaffen!
Da niemand im Westen dieses Vertrauen wiederherstellen will, werden die Russen das ukrainische Potenzial systematisch zerstören. Im Oktober 2022 erklärte General Surowikin, der Befehlshaber der Streitkräftegruppe im Gebiet der militärischen Sonderoperation in der Ukraine: „Wir haben eine andere Strategie. […] Wir suchen nicht nach einer hohen Vorwärtsgeschwindigkeit, wir schonen jeden einzelnen unserer Soldaten und ‚zermalmen‘ methodisch den vorrückenden Feind.“
Im Gegensatz zu dem, was unsere „Experten“ sagen, hat die Ukraine ein enormes Personalproblem. Sie hat seit Februar 2022 acht Mobilmachungsaktionen durchgeführt und kommt nun an das Ende ihres Potenzials und ist gezwungen, auf die Zwangsrekrutierung ihrer Bürger zurückzugreifen. Diese Personalkrise ist nicht neu und hat die ukrainische Armee dazu veranlasst, ein härteres Gesetz gegen Desertion und Dienstverweigerung zu fordern. Dieses Gesetz wurde von Selenskij im Januar 2023 unterzeichnet.
Ein Neonazi-Politiker aus der Westschweiz hatte mich als „Putinversteher“ bezeichnet, weil ich auf die Selbstmorde in der ukrainischen Armee vor 2022 hingewiesen hatte. Heute kann er seine Schimpfwörter an britische Parlamentarier richten, weil diese selbst festgestellt haben, dass die Selbstmordrate dort alarmierend hoch ist. Wir haben also schwachsinnige Politiker, die sich selbst mit ihren Lügen blenden, anstatt die Probleme vorauszusehen!
Die Zwangsrekrutierungen scheinen in erster Linie Minderheiten zu betreffen, insbesondere die magyarische Minderheit. Das hat Ungarns Zorn erregt. Heute sind 97 % der Ungarn gegen die EU-Sanktionen gegen Russland.
Was derzeit geschieht, ist, dass nicht nur das ukrainische Militärpotenzial langsam zermahlen wird, sondern dass die Verluste an Menschenleben den Wiederaufbau der Ukraine über ein oder zwei Generationen hinweg beeinträchtigen könnten. Die Kombination aus einer dezimierten Erwerbsbevölkerung, zerstörter Infrastruktur und verstärkter Emigration droht, die Ukraine zu einem Land zu machen, das am Tropf hängt, mit Kosten, die der Westen kaum lange tragen kann.
Die deutsche Aussenministerin Baerbock hat in einer Rede vor dem Europarat gesagt: «Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland.» Seither versucht man, diese Aussage zu korrigieren, dass man nicht im Krieg sei, sondern nur die Ukraine bei der Selbstverteidigung unterstütze. Ist Deutschland nicht schon lange im Krieg gegen Russland? Die Aussage von Baerbock gibt doch die wahren Ziele des Westens bekannt, nicht primär der Ukraine zu helfen, sondern Russland zu bekämpfen und niederzuringen?
Jacques Baud: Seit 2014 weiß man, dass der Westen versucht, nicht die Ukraine zu verteidigen, sondern Russland zu zerstören. Das hatte auch der französische Wirtschaftsminister Bruno Lemaire am 1. März 2022 bekräftigt, der von einem „totalen Krieg“ gesprochen hat. Es ist also nichts Neues und wurde bereits Anfang Februar 2022 in dem demokratisch orientierten US-Medium Jacobin erläutert.
Im März 2019 hat Oleksej Arestowitsch in einem Interview mit dem ukrainischen Sender „Apostrof“ sehr deutlich die Mechanik der Ereignisse erklärt.
Das Ziel der Ukrainer ist es, der Nato beizutreten. Einige Nato-Mitglieder sind jedoch sehr zurückhaltend, da die bestehenden Spannungen mit Russland bedeuten, dass das Risiko, Artikel 5 aktivieren zu müssen, hoch ist. Das ist in etwa so, als würde man eine Versicherung für ein Risiko abschließen, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 % eintritt! Die Lösung besteht also darin, dass Russland in einen Konflikt hineingezogen wird, der seinen endgültigen Fall herbeiführt. Arestowitsch sah diese Konfrontation sogar für 2021 bis 2022 vor!
Das Schema dieser Strategie wurde von der Rand Corporation in einem Dokument mit dem Titel „Extending Russia: Competing from Advantageous Ground“ entwickelt: Es ging darum, einen Vorwand zu finden, um Russland mit Sanktionen zu belegen, die so hoch sind, dass seine Wirtschaft sie nicht überleben würde. Um dies zu erreichen, wird die Ukraine als „Köder“ benutzt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dies das Muster ist, das im Februar und März 2022 zu beobachten war.
Das Problem ist, dass die westlichen Politiker die Warnungen desselben Dokuments nicht beachten wollten, in dem davor gewarnt wurde, dass dies „zu unverhältnismäßigen menschlichen Verlusten, Gebietsverlusten und Flüchtlingsströmen für die Ukraine führen könnte» und dass diese Strategie „die Ukraine in einen unvorteilhaften Frieden drängen könnte“.
Im Klartext: Die westlichen Länder und die Ukraine haben sich auf eine Strategie eingelassen, von der alle schon 2019 wussten, dass die Ukrainer den Preis dafür zahlen würden! Die Ukraine wurde missbraucht, um zu versuchen, Russland zu vernichten. Gleichzeitig sollte durch Gespräche zur Förderung der Entwicklung von Unabhängigkeitsbewegungen Russland zerstückelt werden (der von den Amerikanern offiziell verwendete Begriff lautet: dekolonisieren).
So haben die Sanktionen, die die russische Bevölkerung, einschließlich der Auslandsrussen, wie Flugverbindungen oder den Warenverkehr betreffen, Wladimir Putins Aussagen, dass der Westen versuche, Russland zu zerstören, nur bestätigt. Die Maßnahmen des Westens haben daher nur das Vertrauen der russischen Bevölkerung in ihre Führung gestärkt. Die Popularität von Wladimir Putin, die im September 2022 bei 77 % lag, stieg im Januar 2023 auf 82 %.
Es war ein strategischer Fehler, Russland nicht zum Jahrestag der Befreiung des Lagers Auschwitz einzuladen, sondern Vertreter einer Regierung, die die „Taten“ von Stepan Bandera, einem Kollaborateur der Nazis während des Zweiten Weltkriegs, feiert. Eine weitere Gelegenheit für die Europäer, der Großväter von Ursula von der Leyen, Olaf Scholz oder Chrystia Freeland zu gedenken. Das hat sogar Arno Klarsfeld schockiert, einen Nazijäger, der Russland nicht wohlgesonnen ist.
Es ist offensichtlich, dass man von Seiten der Nato eine Eskalation des Krieges anstrebt. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, äußerte sich in einem Interview, dass man eine Atommacht, also Russland, nicht besiegen könne. Wie beurteilen Sie diese Aussage?
Jacques Baud: Zunächst einmal müssen wir mit den Begriffen genau sein. Einige Nato-Länder sind in unterschiedlichem Maße in diesen Konflikt verwickelt, aber nicht die Nato als Bündnis oder als Struktur.
Zweitens glaube ich nicht, dass die Nato-Staaten eine Eskalation herbeiführen wollen. Ihr Problem ist, dass sie in ihrem Narrativ gefangen sind und nicht wissen, wie sie daraus ausbrechen können, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Wir haben bereits in früheren Interviews gesehen, dass das offizielle Narrativ lautet, dass die Ukraine den Krieg gewinnt und Russland ihn verliert. Doch heute zeigt die Realität auf dem Schlachtfeld, dass dies schon lange nicht mehr stimmt. Gerade heute bräuchte man ein glaubwürdiges neutrales Land, das den Ukrainern, dem Westen und den Russen einen Ausweg aus dieser Krise bieten könnte.
Ich bin mir nicht sicher, ob man eine Atommacht nicht besiegen kann. Niemand ist unbesiegbar. Es stellen sich zwei Fragen: „Zu welchem Preis?“ und „Steht der zu zahlende Preis in einem angemessenen Verhältnis zu dem Nutzen, den man daraus zieht?“
Nehmen wir an, dass Russland eine Diktatur ist, was sogar erbitterte Anti-Putin-Analysten nicht behaupten wollen. Ist ein Regimewechsel in Russland die Zerstörung Europas wert? Ist das nicht ein Problem, das die Russen selber entscheiden und lösen müssen? Nun fällt auf, dass die Popularität Wladimir Putins nur zunimmt und die Russen anscheinend keinen Regimewechsel anstreben. Tatsächlich hat die im Westen offen zu Tage getretene Russophobie das Vertrauen der russischen Bevölkerung in Putin nur noch weiter gestärkt. Man fragt sich fast, ob primitive und schwachsinnige Artikel über den „Fetisch“ des Buchstabens „Z“ auf russischen Panzern nicht dazu dienen sollen, den Widerstandswillen des russischen Volkes zu stärken!
Es ist leicht, mit dem Geld und dem Leben anderer Menschen Krieg zu führen.
Wie hat Russland auf die verstärkten Waffenlieferungen reagiert, und was könnte von russischer Seite die nächste Eskalationsstufe sein?
Jacques Baud: Russlands Ziel ist es, die Bedrohung für die Menschen im Donbas und in Russland zu neutralisieren. Je mehr man also diese Bedrohung schürt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Konflikt beendet wird. Je größer die Reichweite der Waffen ist, die man an die Ukraine liefert, desto mehr muss Russland die Tiefe des ukrainischen Territoriums kontrollieren. Das sagte Außenminister Sergej Lawrow im Juli 2022, und das wiederholte er am 2. Februar. Es wäre gut, wenn wir auf das hören würden, was die Russen sagen, anstatt überrascht zu sein, wenn sie das tun, was sie angekündigt haben!
Derzeit tun wir alles, was wir können, um Russland dazu zu bringen, die Ukraine vollständig zu zerstören. Was die Frage der „Angreiferprämie“ betrifft, so hätte man zwischen 2014 und 2022 darüber nachdenken und das Minsker Abkommen umsetzen müssen, was niemand – vor allem die Ukrainer – tun wollte!
Die Ukraine verlangt jetzt zusätzlich Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe von den Nato-Staaten. Halten Sie das für ein mögliches Szenario?
Jacques Baud: Das westliche Verhalten ist so irrational, dass alles möglich ist! Wir werden von fanatischen Dummköpfen regiert, die das Massaker an der russischsprachigen Zivilbevölkerung im Donbas zwischen 2014 und 2022 hingenommen haben, die Minsker Vereinbarungen unterzeichnet haben, obwohl sie wussten, dass sie diese nicht einhalten würden. Wie kann man sich vorstellen, dass sie in wenigen Monaten gereift sein könnten?
Das Problem, den Ukrainern Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe zur Verfügung zu stellen, besteht darin, dass sie weder über Flugplätze noch über sichere Militärhäfen zum Auftanken verfügen. Sie müssten daher auf Nato-Territorium stationiert werden. Mit anderen Worten würde dies eine direkte Beteiligung der Nato-Staaten an diesem Konflikt bedeuten.
Die westlichen Länder sind nicht wegen der Waffenlieferungen involviert, sondern wegen ihrer Einbindung in die Logistikkette der ukrainischen Armee. Wir befinden uns derzeit bereits an der Grenze, da die westlichen Länder, insbesondere Frankreich und die USA, technisch gesehen Teil der ukrainischen Logistik sind, indem sie beschädigte Waffen reparieren und einen Munitionsstrom bereitstellen.
Warum gibt es außer Ihnen und General Kujat keine vernünftigen Militärs, die sich für einen sofortigen Stopp des Krieges einsetzen, um dem Blutvergießen ein Ende zu setzen?
Jacques Baud: Hier muss man nuancieren. Zunächst einmal muss daran erinnert werden, dass die Streitkräfte in einem Rechtsstaat in der Regel der politischen Macht untergeordnet sind. Das Militär führt die Entscheidungen der politischen Macht aus, aber es ist nicht seine Aufgabe, die Politik zu machen. Dies erklärt, warum fast alle Militärs, die sich zu Wort melden, nicht mehr im Dienst sind.
Abgesehen davon lässt sich feststellen, dass Militärs im Allgemeinen eine differenziertere Sicht auf den Krieg haben als Politiker; dass angelsächsische Militärs eine ausgewogenere Sicht haben als ihre europäischen Kollegen; und dass Europäer aus dem „alten Europa“ (Westeuropa) den Konflikt professioneller analysieren als ihre Kollegen aus dem „neuen Europa“ (Osteuropa), wie Donald Rumsfeld es ausdrücken würde.
Das Problem ist die geistige Unabhängigkeit, mit der das Militär arbeitet. Ein Militär muss mit den Realitäten des Feldes arbeiten, um das von der Politik vorgegebene Ziel zu erreichen. Das Problem ist, dass im Westen niemand weiß, was in der Ukraine erreicht werden soll. In der Schweiz scheint die Meinung des Militärs der Propaganda aus Kiew nachgebildet zu sein. Zusammenfassend könnte man sagen, dass je weniger operative Erfahrung man hat, desto wichtiger ist das, was Kiew sagt, in der Analyse.
Hat das Schweizer Militär Sie einmal kontaktiert, um von Ihren Erfahrungen und Analysen zu profitieren?
Jacques Baud: Nein, niemals. Aber man muss auch die positive Seite sehen! Wenn ich die miserable Qualität des „Sicherheitsberichts Schweiz 2022“ sehe, der im September veröffentlicht wurde, bin ich froh, dass ich nicht beteiligt war! Ich bedauere nur, dass dieser Bericht nicht die richtigen Schlüsse zieht und letztendlich den Interessen der Schweiz zuwiderläuft!