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Intimität
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Autor:  Sun [ Mo 18. Mai 2020, 09:13 ]
Betreff des Beitrags:  Intimität

Sonntagspoesie! ._l
/ Für alle sich Liebenden - Sonntagmorgen – Nähe, einmal anders!

Intimität

Zeit für Dich, ich nehme sie mir. Minuten, auch für mich. Intimität ist nicht nur Sex. Ich atme ein, schließe kurz die Augen, um Dich und das um uns herum, nicht nur visuell wahrzunehmen.

Ungestört, keine Kinder, keine Familie. Auf dem Kiefernholzschild vor der Zimmertür steht: „Mama - und Papazeit!“ Wir sind allein, nur Du und ich. Ich genieße diese Momente ebenso wie Du.

Ich sitze neben Dir und warte darauf die feuchte, handwarme Gesichtskompresse entfernen zu können. Einzig ein kleiner Teil Deiner Nase schaut heraus. An meinen Händen Dein Duft, sowie das Aroma des Rasieröls, das ich zuvor sanft einmassiert habe, um die abgestorbenen Hautreste zu entfernen.

Wir schweigen, nicht, weil wir uns nichts zu sagen hätten, sondern, um einander vollständig auf die Gegenwart des Anderen einzulassen. Deine Hand in meiner. Unsere Herzen schlagen gleich, wir sind entspannt. Deine Fingerkuppen pulsieren. Wir sind uns so nah.

Ich höre Dich atmen. Nachts liege ich wach, manchmal stundenlang, nur, um mich von diesem Geräusch davontragen zu lassen. Es zeigt mir an, Du lebst. Ich fürchte die Stunde, wenn der letzte dieser himmlischen Töne in der Unendlichkeit des Nichts verschwindet.

Der Barbierstuhl, wie sehr hast Du Dich darüber gefreut, mit das wichtigste Utensil unseres Sonntagmorgenrituals. Meine frischen Fingerabdrücke auf dem glänzenden Chrom. Dein blondes welliges Haar, die schwarze Nackenstütze hebt es deutlich hervor.

Dich ungestört betrachten zu können, nicht begutachtet von Deinen wachen Augen, ich genieße es. Es ist Dir unangenehm mit einer Statue, ein Keltenkrieger im Kampf, Alabasterweiß, verglichen zu werden, da Du glaubst, diesem Ideal nicht gerecht werden zu können.

Ich berühre Dich mit meinen Blicken und ich weiß, dass Du jeden einzelnen davon spürst. Du lässt mich gewähren, denn, es ist auch meine Zeit. Sonnenfäden tanzen, zusammen mit meinen Gedanken, durch den Raum.

Sommerdüfte, ich kann sie schmecken, in Verbindung mit Deinem Geruch, eine süßherbe aphrodisierende Komposition. Golden gleitet das Licht über Dein Körperhaar, einzelne winzige Flammen richten sich mir entgegen. Ich möchte sie anhauchen, damit sie Löwenzahnsamen gleich den Raum ausfüllen.

Meine Haarspitzen berühren die Muskeln an Deinem Bauch. Ich weiß, wie sehr Du diesen Hauch von mir genießt. Haarspitzenmuster auf Deiner Haut. Meine Phantasie lässt Landschaften entstehen und vergehen, daneben, lebende Bilder, Abbildungen von uns, ich kann sie deutlich sehen. Minutenlang reise ich mit meinen Träumen dahin, um wenig später, den bereits vorhandenen Aromen, die Düfte von Seife und Rasiercreme hinzuzufügen.

Ich schäume beide mit dem Pinsel auf, keine 20 000 Dachshaarzupfsilberspitzen, jenes besonders weiche Fell, sondern die vegane Version, welche langlebiger ist, weniger anfällig und dazu noch besser aufschäumt. Der Holzköcher wurde von Hand gebeizt, gewachst und geschliffen, sowie mit etlichen Schichten Chinalack glasiert.

Ich entferne die mittlerweile abgekühlte Kompresse. Nun liegst Du vor mir, wieder vollständig, nichts ist nunmehr länger verborgen, nichts ist mehr abgedeckt, nur Du in Deiner ganzen Pracht. Meine Fingerspitzen gleiten über Dein Kinn. Gänsehaut, ich liebe das entstehende, von, und durch uns beide entstehende Geräusch.

Ich kann nicht anders, ich küsse Dich. Du hast meine Lippen, meine Reaktion erwartet. Unser beider Atemlosigkeit füllt die Stille, verteilt sich im Raum. Sonnenpunkte schlüpfen durch mein hüftlanges, Dein Gesicht bedeckendes Haar, verweilen auf Deinen Wangen, auf Deiner Stirn, tanzen über Deine geschlossenen Lider, verfangen sich in Deinen dunklen Wimpern. Auch ich kann nicht anders, gebe dem Impuls nach und schließe die Augen.

Der Wunsch, einfach auf Dir liegen zu bleiben und Dich zu küssen, bis ich eingeschlafen bin, so, wie letzte Nacht und unzählige Nächte zuvor, möchte über dieses Ritual siegen – Du bist wie immer Du und überlässt die Entscheidung mir.

Nein, ich werde nicht egoistisch sein, nicht an mich, an meine Bedürfnisse denken. Es fällt mir schwer, zu dem, was wir begonnen haben, zurückzukehren.

Ich beginne damit den Rasierschaum auf Deine Wangen aufzutragen. Die kreisenden Bewegungen haben etwas Meditatives. Ich lasse mir Zeit, denn, je länger ich Aufschäume, umso besser gleitet später das Rasiermesser, umso angenehmer die Rasur.

Ich spüre, Du bist, wie immer übrigens, entspannt. Dein Vertrauen in mich, in meine Fähigkeiten Dich nicht zu verletzen ist groß. Nun ja, ich habe bei einem der wohl besten Barbiere der Welt gelernt. Ohne diesen Kurs, hätte ich niemals Hand an Dein Gesicht gelegt, da ich nicht einen Millimeter davon verstümmeln möchte. Die beiden, bereits vorhanden Narben stören mich nicht, denn sie machen Dich interessant, verleihen Dir etwas Verwegenes, unterstreichen Deine Männlichkeit.

Ich klappe das Rasiermesser auf, die Klinge blitzt mir entgegen, ich lasse sie einige Male über den ledernen Streichriemen gleiten und verfalle in eine leichte Trance. Visuell und akustisch eingestimmt, spanne ich mit der linken Hand Deine Haut und fange an, Dich mit per Vorderhand, von oben nach unten zu rasieren.

Wie von selbst achte ich auf die Haarwuchsrichtung, das ist wie Fahrradfahren, wie Schreiben, wie Zähneputzen, es ist einem in Fleisch und Blut übergegangen, man braucht nicht mehr darüber nachzudenken, man tut es einfach.

Messerstrich für Messerstrich, arbeite ich, modelliere ich, Dein bald schon glattes Gesicht heraus. Bevor ich die Klinge jedes Mal wieder neu ansetze, übergebe ich den Rasierschaum samt Deiner Stoppeln, zwei, übereinandergelegten Küchenpapierrollenstreifen.

So glatt – ich gönne mir diese Sekunden und berühre sanft die bereits freigelegten Wangenhautareale. Du lächelst, weil alles, was ich hier gerade tue, nichts Neues mehr für Dich ist – Oh, wie gut Du mich doch kennst.

So gern würde ich in dem Blau Deiner Augen versinken, doch, Deine Lider bleiben geschlossen. Ich widerstehe dem Verlangen sie zu küssen, damit Du meinen Liebkosungen nachgibst und mir das darunterliegende mystische Blau in seiner vollen atemberaubenden Schönheit präsentierst.

Statt dessen widme ich mich Deinem Hals – so wehrlos – würde ich jetzt irgendeinen Groll gegen Dich hegen, Dich gar hassen – die Klinge ist so scharf. Ich vermag nicht zu sagen, ob ich mich Dir jemals so ausliefern würde – Du jedoch bleibst ruhig, denn Du weißt, wie sehr ich Dich liebe, dass selbst der kleinste Kratzer den ich Dir unbeabsichtigt zufügen könnte, mir schwer zu schaffen machen würde.

An dieser Stelle lasse ich die Klinge von unten nach oben gleiten. Ich bemühe mich der Anspannung keinen Raum zu geben, denn, wie gesagt, rutscht mir das Messer hier ab …

Ich verweile kurz, begutachte mein halbfertiges Werk, betrachte Dich – nach all den Jahren tanzen noch immer Millionen Schmetterlinge in meinem Bauch – Du bist pure die Magie und niemals, nein, wirklich niemals, nicht in dieser Welt, werde ich Dir so nahe sein können, wie ich es gern wäre, vereint mit Deinem Inneren, mit Deiner Seele, mit Dir höchstselbst.

Ein Schmunzeln huscht kurz über Dein Gesicht. Ich liebe diese so flüchtigen Momente, da ich gleich Deine Nasenspitze anheben werde, um Dich von den darunter hervorsprießenden Stoppeln zu befreien.

Du erinnerst Dich an das allererste Mal als ich dies tat, an den Lachanfall, welches der Anblick Deiner Schattensilhouette bei mir auslöste und ich mich nicht in der Lage sah mit der Rasur fortzufahren. Das Ende vom Lied, ich lag in Deinen Armen, die Reste des Dir anhaftenden Rasierschaums auf meinem Gesicht verteilt, Rasierschaumküsse und mehr, viel mehr von Dir genießend.

Schade, bald ist es vollbracht, nur noch das Kinn, Du drückst, um mir behilflich zu sein, die Zunge von Innen dagegen. Wehmut erfasst mich, solch wunderschöne Momente, ich möchte sie ausdehnen zu Stunden also zögere ich das Ende ein wenig hinaus, indem ich beobachte, wie die Fasern des flauschig weichen und reinweißen Frotteehandtuchs, die auf Deinem Gesicht verbliebene Restnässe absorbieren.

Nun noch das Finish, ich gebe einige Tropfen des alkoholfreien Balsams in meinen Handflächen und massiere die Flüssigkeit, damit sich die Poren schließen, leicht ein. So weich, so zart – ich ertaste, erfühle Dich, ich erschuf Dich für mich, für uns.

Perfektion, ich bin Dein Name, keinerlei Rasurbrand – Du bedankst Dich bei mir mit mehr als nur einem Kuss.

Intimität, es gibt so viele unterschiedliche Arten davon!

Charlotte Stein

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